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exex_2005/exex.change nr. 2/presse

Leidenschaft liegt in der Luft
Ausstellung «precious and present» im Projektraum exex spürt der Kreativität nach

Zehn Menschen, von der Pianistin über den Biologen und von der Sängerin bis zum Archivar, erlauben einen Blick auf ihre «Inspirationssammlungen» - und lassen uns dabei etwas an ihren Leidenschaften schnuppern.

 

Andreas Stock

 

Woher nehmen Menschen ihre kreativen Ideen? Was ist der Antrieb für Inspiration? Wie zeigen sich ihre Leidenschaften? Die Künstlerinnen Rahel Müller und Corinne Schatz haben eine Ausstellung organisiert, worin sie dazu einladen, sich mit solchen Fragen zu befassen. Mit «precious and present» zeigen sie Fundamente und Ursprünge für geistige und kreative Aktivitäten auf. Mehr noch: man soll Leidenschaften aufspüren können. «Nicht zu theoretisch», sagt Rahel Müller, wünschten sie sich diese Vermittlung. Die Präsentation versteht sich darum nicht im engen Sinne als Kunstausstellung, auch wenn einige der Arbeiten durchaus einen künstlerischen Ausdruck haben.

 

Von der Idee zur Musik

Wie entsteht eine Opern-Szene? Auf aufschlussreiche Weise lässt der St. Galler Komponist Alfons Karl Zwicker uns entdecken, wie bei ihm «aus musikalischen Gedanken konkrete Töne» werden. Anhand der ersten Szene aus seiner Oper «Der Tod und das Mädchen», an der Zwicker momentan arbeitet, erschliessen sich einem die verschiedenen Entstehungsphasen - von den ersten Ideen bis zur fertigen Komposition. Seine Installation versinnbildlicht die Chronologie der Entwicklung in mehreren räumlichen Ebenen. Die ersten Notizen datieren vom 22. Juni 2004 und sind, der Wand vorgehängt, auf Stoffbahnen übertragen; dahinter zeigt sich die schrittweise Entwicklung der Komposition - von Skizzen zur musikalischen sowie instrumentalen Umsetzung bis zur Reinschrift der Notenblätter. Wer Noten lesen kann, vermag zu lesen, was nächstes Jahr in Leipzig uraufgeführt wird. Am Premierenort möchte Zwicker die Installation gerne für seine ganze Oper präsentieren; was im exex rund zwei Meter beansprucht, würde in der kompletten Version gegen zwölf Meter lang. Doch bereits dieses Fragment erlaubt eine zugleich intime wie vielschichtige Annäherung an ein Stück zeitgenössische Musik. Zugänge zu ihrer Musik bieten auch Claudia Rüegg und Jeanine Osborne. Ab CD lässt sich zur Musik der Pianistin in Ringheften mit Fotografien blättern, die auf die «Tastenarbeit» von Claudia Rüegg fokussiert sind. Die Sängerin Jeanine Osborne hat eine «singing wall» aus 180 querformatigen Zeichenblättern zu einer grossen Installation zusammengefügt. Die skizzenhaften Zeichnungen und Malereien wirken wie ein Bilderrätsel, worin man zum Beispiel nach thematischen Verweisen zu Stimmen und Tönen suchen kann.

 

Natur, Wasser, Farben

Die Installation von Corinne Schatz mit Fotografien, die Formen, Farben und Muster in der Natur dokumentieren, erschliessen sich unmittelbarer. Zitate von Künstlern wie Richard Long und Robert Smithson, die sich in ihrer künstlerischen Arbeit mit Natur und Landschaft beschäftigen, stellt Corinne Schatz zu diesen Fotos. Die Leidenschaft für ein bestimmtes Thema wird auch bei Florian Vetsch und Rahel Müller deutlich. Beim St. Galler Autor drückt sie sich neben aufgehängten Buch-Covers im präsentierten Resultat aus: dem kürzlich erschienenen Buch «Tanger Telegramm». Filigran vermittelt Rahel Müller eine ihrer Leidenschaften, in dem sie ein Stück Architekturpapier zerknittert und gewellt an die Wand gehängt hat. Auf dieser dreidimensionalen «Papierwelle» sind schmale Wortreihen aufgeklebt, die assoziativ mit den Themen Wasser und Wellen spielen. Der Architekt und Künstler Urs Eberle befasst sich mit einer Basis seiner Arbeit: der Farbe. Fein abgestufte Farbmuster auf Kartonstreifen - quasi ein «Abfallprodukt» aus seinen Arbeitsprozessen - reiht er aneinander; in kurzen Texten verweist er auf frühere historische Bedeutungen einzelner Farben und führt Beispiele aus der Farbsymbolik auf.

 

Sammler und Jäger

Leidenschaftliche Sammler werden in drei weiteren Arbeiten spürbar. Der Architekt Ueli Vogt präsentiert seine langjährige Sammlung mit Abendmahl-Darstellungen. Gefunden in Zeitungen und Zeitschriften, auf Fotografien und Kunstkarten, sind hier unzählige Variationen und Stile versammelt - von der Parodie über den Kitsch bis zur vermutlich berühmtesten Darstellung von Leonardo da Vinci. Der Biologe Hannes Geisser, Konservator des Naturmuseums in Frauenfeld, zeigt in einer Vitrine, was im Keller schlummert: sogenannte Vogel-Bälge - eine frühere Vorgehensweise für Vogel-Präparate, bei denen den Tieren die Federn abgezogen wurden. Auch der Thurgauer Staatsarchivar André Salathé ist quasi in den Keller gestiegen. Auf einem Gestell hat er Archivschachteln eingereiht, die beim Blick hinein Unerwartetes zum Vorschein bringen. Wenig überraschen mag zwar die Notiz aus einer Fichen-Akte, die in einer Schachtel mit der Aufschrift «Polizei» zu entdecken ist. In den Kartons verbergen sich aber einige amüsante Notizen und Kuriositäten, die nicht verraten sein sollen - sie selber zu entdecken, ist ein wesentlicher Teil des Vergnügens.

 

Aus dem ST.GALLER TAGBLATT vom Mittwoch, 18. Mai 2005