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exex_2006

bernhard stadelmann: miss lebensleistung. eine einführung

zu dem begriff lebensleistung gibt es viele assoziationen. in dieser austellung sind vier unterschiedliche positionen dazu zu sehen. bevor ich näher darauf eingehe, möchte ich diesen begriff aus einer anderen perspektive betrachten.
und zwar aus der perspektive einer persönlichen erfahrung.

im juni 1996, die fussball europameisterschaft in england war noch im gange, lebte ich in ouagadougu, burkina faso. in dieser jahreszeit kündigt sich die regenzeit mit heftigen sandstürmen an.
eines abends, nach einem längeren stromausfall, wir sassen vor dem fernseher, wurde in den acht uhr nachrichten ein gewisser herr ouedraogo interviewt. er ist angesehener rechtsanwalt im berufsleben, sohn eines dorfchefs und medizinmann. der grund für sein erscheinen zur hauptsendezeit war der tod seiner mutter.

über einen längeren zeitraum hat er mit hilfe seiner mutter ein museum aufgebaut das sich den erhalt der mossi kultur zur aufgabe gemacht hat. dieses museum besteht aus lehmhütten in der traditionellen bauweise der mossi. inklusive werkzeuge und kultgegenstände die in einem eigens dafür vorgesehen betonbau ausgestellt sind. diese hütten veranschaulichen ein typisches mossi dorf wie es vor etwa 100 jahren gebaut wurde, bevor das land in den besitz von frankreich geriet.
als medizinmann und sohn fiel herr ouedraogo nun die aufgabe zu, seine mutter der tradition entsprechend beizusetzen. neben der opferung von tieren war die korrekte durchführung der beerdigungszeremonie äusserst wichtig. den geistern der ahnen muss ehrerbietung entgegengebracht werden. sie sollen auch in zukunft ihre schützende hand über den sohn der verstorbenen halten. im glauben der mossi sind die ahnen allgegenwärtig. besonders nach der beerdigung einer wichtigen persönlichkeit kommt es vor, dass sie ein zeichen von sich geben. in der regel dauert dies drei bis fünf tage bis nach der beisetzung. in diesem fall fegte ein sturm über das museumsdorf und verwüstete die ganze anlage. die dächer der hütten wurden vom wind zerstört oder verweht. sogar das wellblech- dach des betonhauses mit den kultgegenständen stürzte ein was viel schaden anrichtete.
für herr ouedraogo gab es keinen zweifel wer für den sturm verantwortlich war. worin aber bestand das zeichen der geister, dass darauf schliessen lässt, ob die mutter von herr ouedraogo ihre lebenszeit nicht verschwendet hat? obwohl der sturm viel zerstörung angerichtet hat, waren die wichtigen masken und kultgegenstände überhaubt nicht beschädigt worden. sie blieben als einzige objekte unversehrt.
die ahnen hatten ein signal gegeben.
durch den sturm gaben die geister zu verstehen, dass frau ouedraogo ihr leben sinnvoll gestaltet hat. herr ouedraogo hatte nun gewissheit, die lebensleistung seiner mutter wurde positiv bewertet.

solche begebenheiten sind gesprächsstoff, echte news für die acht uhr nachrichten in burkina faso. leider reicht der arm der ahnen aus burkina faso nicht bis nach england, jedenfalls nicht 1996, sonst wäre deutschland nicht europameister geworden.

die meisten bisherigen arbeiten von susanne hofer sind videofilme oder installationen. für die in dieser ausstellung gezeigte arbeit, die stellvertreterin, schlüpfte sie jeweils einen arbeitstag lang in die rolle von acht willisauer frauen.
in diesen rollen war sie lehrerin, gärtnerin, hausfrau oder führte einen bioladen. sie betreute wildfremde kinder, machte den abwasch und kochte. sie wurde auf ihre verschiedenen aufgaben in gesprächen mit den frauen vorbereitet. die anleitungen und tipps der frauen sind in den geschnittenen videos als off-ton hörbar.
dominique margot hat das ganze mit sicherer hand auf video festgehalten. so sind über fünzig stunden filmmaterial zusammengekommen. in der installation sind die einzelnen tage auf eine länge von je 62 minuten komprimiert und parallel zu sehen.

in ihrem neuesten projekt «östlich von winnetou» befasst sich elisabeth nembrini mit sammelbildern aus den winnetouheften ihrer kindheit. ihr damaliges missverständnis, dass die stadt winterthur mit dem held der geschichte etwas zu tun haben muss, ergibt den arbeitstitel.
in ihren projekten kommen unterschiedliche medien und materialien zum einsatz.
die emotionalen erinnerungen von momenten, die sie in ihren kindertagen beim betrachten eines bildes von ribana oder anderen protagonisten aus winnetous kosmos hatte, motivierte sie, ausschnitte daraus für neue bildkompositionen zu verwenden. der aufwändige prozess die leinwand mit glasperlen zu besticken, ist ein teil dieser erinnerungsarbeit, und zugleich ein symbolischer akt. durch die aus- gewählte technik erschliessen sich die konturen der bilder dem zuschauer erst nach längerem hinschauen.

bei eva kindlimanns arbeit könnte man folgendes sagen: zuerst ist da das gedächtnis. in diesem gedächtnis werden eindrücke und bilder gesammelt, zunächst ohne konkrete umsetzungsabsicht. diese eindrücke müssen reifen. es handelt sich um eine art gärungsprozess, wie beim wein. und wie auch der wein zum richtigen zeitpunkt getrunken werden sollte, warten die bilder und eindrücke darauf, in einen konkreten arbeitsprozess einzufliessen.
ihre sujets findet eva kindlimann unterwegs, in zeitschriften, fotoalben, oder zuhause, oft zufällig. in ihren arbeiten verwendet sie aufwändige techniken wie das bedrucken, das nähen oder bemalen. mit der ihr eigenen collagetechnik versteht sie es, die verschiedenen materialien in stets neue und unerwartete kombinationen zu verwandeln. die hier gezeigten werke sind eine auswahl aus einer serie, die während eines jahres aus den assoziationen mit dem ausstellungstitel entstanden sind.

in judith alberts videoarbeiten kommt ihre affinität für metaphorik, gezielt eingesetzter körpersprache, sowie für vermeintlich nebensächliches zum ausdruck.
die hier gezeigte arbeit, zwischen der zeit, ist ein zitat von vermeers bild: das milchmädchen. sehr wichtig für judith albert war, den frame so zu wählen, dass es zu ihrem bild wird. trotzdem soll erkennbar sein, dass es sich um den ausschnitt eines tafelbildes von vermeer handelt. dabei geht es ihr nicht darum, eine geschichte zu erzählen, sondern das unbegrenzte fliessen der milch in den fokus des betrachters zu rücken. die bewegung der fliessenden milch scheint keine messbare dauer zu haben. die heute trivial erscheinende gliederung der zeit in vergangenes, gegenwärtiges und zukünftiges stammt vom griechischen philosophen parmenides von elea. er war es auch, der befand, daß ein augenblick sich nicht ausdehnen könne. ob dies in bezug auf judith alberts arbeit der wahrheit entspricht, kann jeder besucher selber überprüfen. und zwar noch bis am zweiundzwanzigsten oktober, solange sind die hier gezeigten werke noch zu sehen.

 

 

 

bernhard stadelmann führt in die ausstellung ein.