exex_2004/salon nr. 5/presse |
Atmosphärisch aufgeladen |
Welches sind Möglichkeiten und Auswirkungen der Computertechnik in Bezug auf künstlerisches Schaffen? Edith Hänggi, Frank Keller, Yves Netzhammer, Daniel Schibli, Christian Vetter, Lex Vögtli und Markus Wetzel zeigen ein breites Spektrum.
Ursula Badrutt Schoch
Das Bild im Entrée dehnt das Verlangen in die Länge. Die Inseln der Begierde sind zwar fern, aber sichtbar. Sie erheben sich wie eine Fata Morgana und der Blickwinkel macht deutlich, dass wir uns nur knapp über Wasser halten und jeden Augenblick untergehen können. Das Bild, das Markus Wetzel am Computer entworfen und in hoher Auflösung scheinbar nah an die Realität gebracht hat, ist genau so konstruiert wie die Sehnsucht, die es generiert hat. Die schier unbegrenzten Möglichkeiten der Technik finden Analogien in den schier unbegrenzten Möglichkeiten des Träumens. Und wer sich zu sehr darauf verlässt, taucht ab.
Flimmernd und haltlos Unmittelbar am Computer entstehen auch die Welt-Bilder von Frank Keller. In stark reduzierter Pixelzahl oszilliert seine digitale Reise zwischen gegenstandslosen Bildern und rekonstruierten Erlebnissen von Raum und Zeit, zwischen Oberfläche und Innenleben, Abheben und Untergehen. Der Spaziergang durch eine Unterführung im nächtlichen Paris wird zur Abstraktion von Erinnerung, die sich wie ein Augenflirren zwischen Realität und Traum bewegt. Zustände von neugieriger Lust und Unbehagen werden aufgebaut und zerbröckeln lautlos. Die Bildfindungen von Yves Netzhammer, dem dritten Künstler, der sich einer rein digitalen Sprache bedient, greifen ebenfalls weit ins Feld ambivalenter menschlicher Lebensentwürfe und Empfindungen, die um «das Gefühl präziser Haltlosigkeit beim Festhalten der Dinge» kreisen, wie er zu einer Arbeit getextet hat. Das Schaffen des 1970 geborenen Schaffhauser Künstlers wird in Form von Publikationen und Multiples in Vitrinen vorgestellt. Von künstlicher Computer-Glätte ist «Der Ast» von Lex Vögtli überzogen, dabei ist er nichts als Holz. Holz als Material, Holz als Thema. Doch die 1972 geborene Solothurner Künstlerin überträgt die Sprache der Maschine in handwerklich perfektes Ungeschick und unterläuft dadurch ironisch zwinkernd die im Zeitalter des Computers selbstverständlichen Ansprüche von Sauberkeit, Perfektion und Schnelligkeit. Auch das handgemachte Höhlenbild von Daniel Schibli scheint eine computergenerierte Arbeit. Zwar bindet er den Blick immer wieder in die materielle Konstruktion seiner Welten ein. Die Stalaktiten und Stalagmiten könnten tönern, die Schleimschicht aus Papierschnitten und Licht gebaut sein. Doch letztendlich ermöglicht allein schon die Ästhetik von Computerkonstruktionen, die Verquickung von Realitäten mit Erlebtem und Fingiertem, Erwünschtem und Befürchtetem darstellbar zu machen.
Eiszeit am Feuer Nicht weniger spannungsvoll gibt sich auch die Arbeit des St. Gallers Christian Vetter (geboren 1970). Ein Stück Innenraum mit Ausblick, mit Cheminée, viel Holz, Naturstein, Ölbild und Schnitzuhr - also mit allem, das wohlige Wärme und Behaglichkeit verspricht - stockt vor Unterkühlung. «Eiszeit» nennt der Künstler die Installation mit Reminiszenzen an Alfred Hitchcocks Vögel. In kruder Machart baut er Oberflächen zu Raumillusionen. Durchs Fenster fällt der Blick auf die satelittenschüsselngespickte Agglo-Umgebung, oder zumindest ein Bild davon. «Je bedeutungsloser die reale Raum- und Zeiterfahrung in der hoch technisierten Welt wird, desto rückwärtsgewandter sind die Sehnsüchte», beobachtet Vetter und findet dafür komplex aufgeladene Bilder. In sachter Verlangsamung schweben die Finger über die Tastatur, schreiben Unverständliches, berauschen in ihrer an Musik erinnernden Bewegungen. «Wir bleiben in Kontakt», nennt Edith Hänggi aus Basel diese vor fünf Jahren entstandene poetische Arbeit. Meeresrauschen und Schreie von Walen bilden die Tonspur und verknüpfen das ausgeklügelte Kommunikationssystem der Tiere mit den menschlichen Versuchen von Verständigung, der immer die Möglichkeit des Scheiterns innewohnt. Eigenartig unberührt bleiben die Tasten-Skulpturen derselben Künstlerin wie schwebende Wunder im Raume liegen. Dass der Computer und seine Bildsprache sich in den Lebensalltag und die Ästhetik ausdehnt und sowohl als Instrument als auch als Inhalt künstlerisches Schaffen beeinflusst, ist unbestritten. Letztendlich geht es in allen sieben Präsentationen im Projektraum um die reflektierte Anwendung der Mittel, um damit Bilder zu kreieren, welche Gegenwart beobachten und Möglichkeiten des Künftigen formulieren. Es sind Bilder, die atmosphärisch bedeutsamen Verortungen von Leben als Sehnsucht und Angst entgegen stellen und Fragen nach Sinn und Unsinn wohltuend lakonisch unbeantwortet lassen.
Aus dem ST.GALLER TAGBLATT vom Dienstag, 8. November 2004
|