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exex_2008

anna frei und manuel gmür: crash that spectacle
show down #11, 12. juni 2008

zu beschreiben, was anna frei und manuel gmür eigentlich genau tun, ist nicht gerade einfach. eine gewisse subversivität haftet ihren projekten an, eine heimlichkeit vielleicht, welche die wahren beweggründe ihres tuns oft im dunkel verbirgt, eine absurdität auch, und in der planung und umsetzung bis ins kleinste detail dann auch eine grosse präzision.

die beiden haben den besucherinnen und besuchern einer grossen gruppenausstellung beispielsweise, während die andern künstler bilder und skulpturen zeigten, die schuhe geputzt. in eine andere gruppenausstellung hat anna frei kürzlich taschendiebe eingeladen, die sie per inserat suchte. ausserdem verfolgen frei und gmür seit jahren ein musikprojekt, das sie zum improvisieren zusammenführt, vorwiegend auf instrumenten, die beide nicht beherrschen. das experiment mit ungewissem ausgang und das damit verbundene risiko sind stets teil ihrer interventionen. die konzepte haben etwas erfrischend rebellisches an sich und intrigieren gerne gegen jene kunstgesellschaft, der sie vorgeführt werden.

vor allem aber – und wahrscheinlich an erster stelle – erzählen die arbeiten von anna frei und manuel gmür geschichten. so gesehen ist das ausgestellte werk jeweils nur ein teil des projektes, ein fragment, dem sich beim mutmassen und beim erzählen der grundlagen, der hintergründe, der abläufe und resultate viele neue einzelheiten beigesellen, die nach und nach ein immer deutlicheres bild dessen geben, was das projekt ausmacht. dabei ist die absicht der künstler sekundär, die spekulationen des einzelnen betrachters stehen im vordergrund. die wahrheit und wirklichkeit ist nur ein teil der fiktion.

das gilt genau so auch für die jüngste arbeit: anna frei und manuel gmür zeigen auf einer langen, weissen wand eine einzelne, ziemlich kleine fotografie, die den wuchtigen titel «crash that spectacle» trägt. das bild zeigt eine szenerie auf der strasse am oberen graben 38. verschiedene personen stehen herum, einzelne in gelben signalwesten und über eine rampe, die von der strasse über den gehsteig zu einem der fenster führt, ist offenbar ein personenwagen ins schaufenster hinein gefahren. das heck ragt noch aus dem haus heraus ins freie. über der szenerie liegt – offenbar trotz des vorgefallenen – eine seltsame, unaufgeregte ruhe.

für den betrachtenden nimmt hier die geschichte ihren anfang. falls der crash des autos ins schaufenster des projektraums wirklich war und das auto tatsächlich den oberen graben herunter fahrend, und dann, beinahe rechtwinklig abbiegend, über die rampe die scheibe durchstossen hat – und das alles selbstverständlich mit dem nötigen heulen des motor und dem splittern der scheibe –, falls das auto als folge eines unfalls, geplant offenbar – die rampe und die sicherheitsmassnahmen deuten darauf hin – in die scheibe hinein gerast ist, dann haben wir, die wir jetzt vor der fotografie stehen, ein ziemliches spektakel verpasst.

das aus dem lateinischen stammende wort spektakel bezeichnet ein schauspiel, einen aufsehen erregenden vorfall, laut der gebrüder grimm auch schimpf und schande oder – wie passend – krach und lärm. wenn etwas spektakuläres geschieht, unerwartet und plötzlich, schauen wir hin. wir können gar nicht anders, das spektakel zieht unseren blick magisch an. auf dem bild von frei und gmür ist das spektakel allerdings vorbei und keiner scheint sich mehr für das ereignis zu interessieren. paradox eigentlich.

die aktion, die nach langer vorbereitungszeit unter den sicherheitsvorkehrungen der st.galler stadtpolizei am frühen samstagmorgen letzter woche stattfand, hat verschiedene dimensionen, doch vor allem anderen zeigt «crash that spectacle» dieses versprochene spektakel explizit nicht … wir sind zu spät dran, alles ist bereits vorbei. nicht das auto ist gecrasht, sondern das spektakel selbst, eben, wie es der titel sagt …

die kleine fotografie wird der in jeder hinsicht spektakulären performance in keiner art und weise gerecht und steht in format und präsentation im krassen widerspruch zur grösse des ereignisses. genauso widersprüchlich ist der zeitliche aufwand der vorbereitungen im verhältnis zur dauer des spektakels. am grössten dürfte die diskrepanz aber für die betrachtenden sein, die sich mit einer fotografie konfrontiert sehen, die ihnen vor allem eines sagt, nämlich, dass sie alles verpasst haben. was im übrigen auch nicht schwierig war, da der vorfall nur ein paar sekunden dauerte …

und eben: die geschichten, welche die beteiligten jetzt, nach der aktion erzählen, sprengen das format des bildes natürlich ebenfalls. denn über die beweggründe, welche frei und gmür dazu getrieben haben mit gewalt in den projektraum hineinzufahren, ist jetzt noch gar nichts gesagt.

matthias kuhn