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exex_2008

helmut sennhauser
show down #9, 22. mai 2008

helmut sennhauser ist maler, zeichner und bildhauer und ein eigentlicher spezialist für verschiedene alte und neue druckverfahren. er ist ein tüftler und experimentierer mit farben und vor allem auch mit materialien. lange versuchsreihen und ausgiebige tests gehören ebenso zu seinen techniken wie die präzise ausführung einer arbeit am schluss.

erinnerungen, flüchtige gedanken, die kaum ins bewusstsein treten, und ahnungen spielen eine wichtige rolle in den neueren arbeiten von helmut sennhauser. für die ausstellung im palais bleu in trogen (2006) hat er mit den fehldrucken eines portraits ein video montiert, darin ein mann langsam aus der vergessenheit auftaucht und wieder verschwindet. überhaupt bringen ihn fehler, vor allem beim drucken, oft auf neue ideen. so werden die fehlversuche zu den voraussetzungen für neuentwicklungen.

für seine aktuelle arbeit, die er hier im projektraum exex zeigt, hat sennhauser ein bildverfahren entwickelt, das er der natur abgeschaut und weiter verfeinert hat. auf den ersten blick mit dem druck, auf den zweiten blick aber eher der fotografie verwandt, hat der künstler billiges, holzhaltiges papier dem sonnenlicht ausgesetzt. was passiert ist einfach: das stark uv-haltige licht vergilbt das papier. der prozess braucht seine zeit, hinterlässt aber deutliche spuren. sennhauser hat seine papiere nun gezielt abgedeckt und so den vergilbungsprozess gesteuert: die bilder tauchen im licht der hellen sonne langsam aus dem papier auf und offenbaren sich dem geduldig wartenden künstler.

für die hier gezeigte serie hat helmut sennhauser fotografien des hauses verwendet, in welchem der projektraum exex seit mehr als fünf jahren eingemietet ist. die auf den ersten blick schlichte arbeit offenbart bei genauem hinsehen – und das ist im doppelten wortsinn gemeint – viele schichten.

formal gesehen haben wir es mit einer art von künstlerischem paradoxon zu tun. ist das bild nämlich fertig und bereit für die ausstellung, muss es der künstler sofort in der dunkelheit, wo es natürlich niemand sehen kann, versorgen, ansonsten ihm die sonne die zuvor abgedeckten stellen nachdunkelt und das bild – so sanft, wie sie es aus dem papier hat auftauchen lassen – langsam wieder zum verschwinden bringt. der künstler kann mit dieser arbeit streng genommen also kein publikum erreichen, es sei denn, er gibt sein bild auf.

paradox sind die bilder noch auf eine andere art: sie sind nichts! denn kein farb- noch graphitauftrag, noch irgendwelche andere materialien zeichnen das papier. es ist einzig eine veränderung der struktur des trägermaterials, welche die bilder sichtbar macht. in diesem engen sinne sind die bilder fotografien – «lichtzeichnungen» – die auf einem langsamen (und in diesem falle unkonventionellen) träger wie papier aber länger sichtbar bleiben, als die auf fotofilm gebannten bilder, die sofort schwarz werden, wenn man sie dem prallen licht aussetzt.

inhaltlich bezieht sich helmut sennhauser zuerst einmal direkt auf die geschichte des projektraums, der gewissermassen über nacht vom dezember 2002 auf januar 2003 seinen betrieb aufgenommen hat und nun, im sommer 2008, aus dem stadtbild wieder verschwinden wird. nach dem projektraum wird später auch das haus verschwinden, und verschwindet damit (wahrscheinlich) langsam auch aus dem gedächtnis …

in diesem sinne spielt die arbeit sehr subtil mit dem erinnern und vergessen, dem auftauchen und dem verblassen von bildern vor dem inneren auge. wenn wir uns erinnern, versuchen wir innerer bilder habhaft zu werden. oft geschieht es, dass sie aus der vergessenheit auftauchen, klarer werden und bevor wir sie dann aber deutlich sehen wieder verschwinden. wenn wir vergessen, verlieren wir die bilder nicht, sie verblassen nur und warten darauf, erneut erinnert zu werden. diesen mechanismus visualisiert helmut sennhauser mit seinen feinen lichtbildern, oder sonnenzeichnungen, wenn man will … heliografien eigentlich, nach joseph nicéphore nièpce, dem nachmaligen erfinder der fotografie. und damit wären wir ganz am anfang der geschichte der fotografie – oder wörtlich eben «lichtzeichnung» – angelangt, die aus einem zufall beim experimentieren mit drucktechniken entstand.

matthias kuhn