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exex_2008/presse

«nomol luscht zum schtarta»
solvej dufour andersen, michelle grob, birgit widmer,
monika rechsteiner im projektraum exex

die tage des «exex» sind gezählt. die verbleibende zeit wird in einer intensität genutzt, welche über die dichte an künstlerischen kräften staunen lässt. ab heute sind es arbeiten von vier frauen.

 

ursula badrutt schoch

 

noch begrüssen die fotografien von hans jörg bachmann die eintretenden: der schatten einer überführung, die untersicht einer brücke, container auf der quaimauer zeigen keine attraktiven seiten der hafenstädte genua und barcelona. es sind momentaufnahmen von städten in bauklötzen, die wie skulpturen im mobileprinzip bilder von gebilden im zeitenfluss, wertvolle zwischenzonen ohne namen festhalten.

 

mit stoff entstofflicht

der moment der veränderung prägt auch die objekte von michelle grob. die künstlerin, die in «ausgezeichnet» im regierungsgebäude ausser mit einem textilkubus mit gestickten bundesräten und gehäkelter scheisse eingefahren ist, hat sich zur verabschiedungsparty des ausstellungsraumes für fragiles entschieden. «umziehen» heisst die disparate installation aus objekten, die wie zarte geister ihrer selbst den raum bevölkern. in zuckersirup gestärkte farblose textilien formen objekte nach. künftiges verschwinden hat die gegenwart überholt und berichtet jetzt von gewesenem. dem vieldeutigen titel entspricht die poetische dimension. abwesenheit, verlust, erinnerung und sehnsucht treffen in den hüllen banaler alltagsgegenstände wie staubsauger, wc-schüssel, rollschuhe, koffer aufeinander.

 

auftauchen und verschwinden

schatten und linien umreissen auch in den arbeiten von birgit widmer momente zwischen auftauchen und verschwinden. «unterwegs in drei liedern (statt im auto) beschreibt jene reisen, die weder fahrpläne noch zielvorgaben kennen. musikfetzen entlang tauchen bilder auf, multiple köpfe, mann und frau zwischen drehstühlen. dichte flächen zwischen bleistiftlinien formen einen raum im traumbereich. textzeilen von gimma oder mascha kaleko erden die luftgebilde und verbinden zeiten, generationen, kontinente: «han au scho dr richtig baum gsuacht und sitz no do, dr himmel kann no warta, han nomol luscht zum schtarta.» was sich nicht beschreiben lässt, das lässt sich zeichnen. oder singen.

solvej dufour andersen, die seit jahren mit peter stoffel in genf den offspace-kunstraum «planet 22» betreibt, lässt im film «the canadien» einen mann von einer person erzählen, die allmählich konturen annimmt. gestik, mimik und worte evozieren zwischen historischer gewissheit und phantastischem fabulieren das leben eines menschen in der nähe vom gehen. rauschende feste begleiten todesnähe. «show down» kann – über den simplen schlussakkord eines kunstraumes hinaus–- auch narrativ und existenziell sein.

 

erinnerung von zukunft

die von karin bühler zusammengestellte ausstellung umkreist in ruhigen bildern das thema des verschwindens. es ist, als ob erinnerungen an das gewesene bereits in der gegenwart gebildet werden, um in der zukunft ihre aufgabe erfüllen zu können.

in einer einmaligen filmvorführung zeigt die in st. gallen aufgewachsene monika rechsteiner «tawisupleba», ein dokumentarisches bild-essay durch georgien. die zu einem tastenden film montierten fotografien und zitate geben ein eindringliches bild zur gegenwart georgiens. unterschiedliche, kulturell engagierte leute reflektieren kunst, politik und gesellschaft in einem land im aufbruch – eigenartig abgehoben und zugleich fest und nah im leben verankert. in betonter langsamkeit zwischen dem bedürfnis nach innehalten und bewegung bekommt in «tawisupleba» – zu deutsch «freiheit» – das land inhaltliche schärfe in der zerrissenheit und ein poetisch verdichtetes profil, worin bauruinen ebenso platz haben wie wünsche und träume.

aus dem st.galler tagblatt vom montag, 3. märz 2008

 

 

bild: philippe baer, st.galler tagblatt